Auch in diesem Jahr wächst Sachsens Forst weiter. Zumindest kam diese Meldung letzte Woche aus den Nachrichten-Tickern. Doch auch wenn die Info den Holzmichel vielleicht wieder auferstehen lässt, stellt sie für einen Randmarkranstädter eine eher unbedeutende Randnotiz dar. Im ländlichen Raum zwischen Schkorlopp und Dölzig spielt ein gesunder Mischwald eh nur eine untergeordnete Rolle.
Unser Landschaftsbild ist geprägt von flachen, großflächigen Monokulturen, über deren meist gelben Blütenstand man problemlos von Kirchturm zu Kirchturm und Windkraft- zu Biogasanlage blicken kann.
Doch wir wären nicht wir, wenn wir diesbezüglich nicht noch einen fetten Trumpf im Ärmel hätten. Und so sagen wir: "Brasilien hat den Regenwald, Leipzig den Auwald und wir die Ellern." Für manch Zugezogenen mit westdeutschem Migrationshintergrund mag es nur ein unbedeutender Flurstreifen sein, der sich im rechten Winkel zwischen Schkeitbar und Seebenisch durch die Landschaft zieht. Doch für den interessierten Beobachter ist es eine Naturoase mit Symbolcharakter für eine verbindende Völkerverständigung.
Jowollja, unsere Ellern tragen einen Teil des europäischen Gedankens in sich. Klingt wie auf den Schlamm gehauen, ist aber auch so. Denn dieser Schlamm ist eines der prägenden Bodenelemente, die man auf dem schmalen Weg, der die Ellern durchzieht, durchaus antreffen kann. Hinzu kommen Veilchen, Osterglocken, Wurzeln und diverse Hinterlassenschaften von Mensch und Tier, die von Pferdeköteln bis zu vergessenen Adiletten reichen.
Alles Dinge, denen man bei einer Joggingrunde durch die Ellern ausweichen sollte. Man stählt also nicht nur den Körper sondern auch seine Konzentrationsfähigkeit und so ist man nach nur wenigen hundert Metern Joggen durch die Ellern kaputter als nach einem Marathonlauf durch den Auen- oder Regenwald. Eine moderne und zudem platzsparende Trainingsmethode der Superlative also.
So sind die Ellern ein verbindendes Element zwischen Moderne und Historie, denn betrachtet man die geschichtliche Bedeutung des Weges, zieht es einem gleich den Joggingschuhe aus. Gerüchten zufolge soll Napoleon quasi fast persönlich die ersten Pappeln in den schon bald preußischen Boden gepflanzt haben. Oder war es doch eher kursächsischer Acker? Tja, das kommt nun drauf an, in welche Richtung man, auf der Schkeitbarer Allee ankommend, seinen Blick schweifen lässt.
Die Ellern sind Teil der ehemaligen Grenze zwischen den Königreichen Sachsen und Preußen. Deutlich erkennen kann man das, wenn man sich den Grenzstein an der Kreuzung von Ellern und Schkeitbarer "Allee" betrachtet. Und so bildet der Stein bis heute die gedankliche Grenze zwischen den europäischen Metropolregionen Räpitz und Kulkwitz.
Als die Demarkationslinie 1815 auf dem Wiener Kongress diskutiert wurde, muss unseren Vorvätern allerdings ein kleiner Fauxpas unterlaufen sein. Denn der akkurat gepflanzte Leitpfosten (Foto) lässt sich an dieser Stelle nur dadurch erklären, dass hier ein kleines Fleckchen Bayern mit reingerutscht ist. Da wollte der aus unserem schönen Nachbarland stammende oberste Straßenwärter wohl sowas wie bajuwarische Ordnung im eigenen Stall und wirklich jeden Fleck seines Staatsgebietes mit verkehrstechnisch ordnungsgemäß ausgestatteten Wegen versehen.
Genau gegenüber des bereits erwähnten Grenzsteines befindet sich übrigens die Ochsenwiese. So genannt, weil früher die Dorfochsen tagsüber auf diesem Stück Feld geparkt wurden. Lassen Sie uns an dieser Stelle erneut den Bogen in die Gegenwart schlagen, denn auch heute würde sich die Wiese hervorragend dazu eignen, so manches Hornviech mal für ein paar Tage drauf anzupflocken, um es zur Besinnung kommen zu lassen.
Warum erzählen wir Ihnen das alles? Die Meteorologen sagen für die kommenden Tage ein Wetter voraus, aus dem man getrost zwei machen könnte. Was zur Folge haben wird, dass auf dem Radweg zwischen Seebenisch und Räpitz wieder Völkerwanderungen stattfinden werden.
Nun ist es aber so, dass auf diesem Radweg aufgrund der hohen Verkehrsbelastung erst kürzlich umfangreiche Reparaturmaßnahmen durchgeführt werden mussten. Deshalb soll der Hinweis auf die Ellern sowohl ein Plädoyer für die Entlastung der geschundenen Asphalt-Bahnlinie sein als auch Empfehlung der Alternative per Tour durch die Ellern.
Starten Sie am Bahnübergang Räpitz und genießen Sie auf Ihrem Weg eine botanische Verbindung zwischen Frühling und Winter. Denn während sich das Blattwerk der Enkel einstiger napoleonischer Pappeln noch zaghaft zurückhält, gehen die Osterglocken und Veilchen ab wie Lance Armstrong nach dem Frühstück.
Genießen Sie, wie die idyllischen Orte Schkeitbar und Seebenisch durch das noch karg bedeckte Buschwerk lunsen und in der Ferne manch malerischer Kirchturm grüßt. Beenden können Sie den Abstecher in Seebnisch auf Höhe der Ernst-Thälmann-Straße. Dort wohnen übrigens auch hilfsbereite Ureinwohner, die dem Durchreisenden sicher gern den Weg zur Radverbindung Lützen-Lausen-London weisen.
Ganz nebenbei wird so auch wieder ein Beitrag zur Völkerverständigung zwischen den Ortsteilen geleistet. Diese kann bisweilen Züge von geradezu historischer Tragweite annehmen. Während Leipzig seit geraumer Zeit über ein Einheitsdenkmal philosophiert, schlagen wir die Ellern vor.
Ein Symbol nicht nur für die Verbindung zwischen Moderne und Historie oder zwei Ländern, sondern auch für Völkerfreundschaft. Denn um diesem natürlichen Einheitsdenkmal zu huldigen, erscheint dieser Beitrag gleichzeitig auf www.raepitz.de und www.nachtschichten.eu. Sozusagen als Wort gewordenes Symbol bilateraler Kooperation.
Der Anfang ist gemacht. Jetzt sind Sie dran. Besuchen Sie die Ellern, wandern Sie auf den Spuren Napoleons und zeigen Sie, dass inmitten blühender Landschaften endlich wieder zusammenwächst, was zusammen gehört!